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Emil Schumacher

Atischa

1959

Mappe mit neun Radierungen auf Bütten
Maße: jeweils 48,5 x 36 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert rechts unten, nummeriert links unten
Exemplar-Nummer: 55/70
Druck: Kätelhön, Wamel bei Soest/Westfalen
Herausgeber: Abstracta Verlag, Freiburg/Breisgau
Text: Hans Platschek
Inventar-Nummer: 1000261.1–9

 

An Schlachtfelder erinnern diese Bilder1: verbrannte Erde, die Druckerschwärze verschmiert zu undefinierbaren Formen. Schwarzgrau, verstümmelt durch Kerben und eingeritzte Narbenlinien, zeigen sie den Abdruck geschundener Kupferplatten. Im Zentrum oft aufgerissene Schrunden oder weiße Löcher, die dem Betrachter als Wunden entgegenstarren. Diese Verletzungen, die als leerer Widerschein auf dem Papier zu erkennen sind, hat der Künstler der Druckplatte zugefügt, bevor sie zum Einsatz kam. Mit „Hammer, Axt und Blechschere“ erweitert Emil Schumacher das klassische Ausdrucksspektrum der Radierung.2 Die in seinen „Hammerbildern“ (seit 1966) zu beobachtende Tendenz, das Material selbst zum Sprechen zu bringen, deutet sich hier schon an.


Das Werk läßt seinen Werdegang erkennen, denn das Papier hat alle Spuren des Umgangs mit der Kupferplatte aufgenommen. Man fragt nach den Gründen dieser offensichtlichen Aggressionen. Sind sie gegen das Bild gerichtet oder, umgekehrt, macht dieses sie sichtbar? Die Assoziation verletzter Gesichter liegt dem Gewebe aus kreisförmig verdichteten Linien und Flecken nicht fern. Aber gerade der „Leidensweg“, den jedes Bild dieses Zyklus durchlebt hat und nun widerspiegelt, macht es interessant. Die Zerstörung des Materials ist zum bildnerischen Mittel geworden. Der Künstler als schaffendes Subjekt tritt hinter das Werk zurück, weniger er selbst hat etwas erlebt, das zum Ausdruck drängte, das Kunstwerk hat etwas erlebt.


Schumacher gilt als deutscher Vertreter der breiten Strömung des Informel, die nach dem Zweiten Weltkrieg international als neue abstrakte, von tradierten Formen losgelöste künstlerische Sprache praktiziert wurde. Die informelle Kunst war dem Auge nicht auf Anhieb angenehm, wie auch diese düsteren Radierungen zeigen. Schumacher sagt selbst über seine Arbeit: „Das Gefällige ist gefährlich. Immer wieder das Bild zerstören. Dadurch werden neue Schichten aufgedeckt, die man sonst nie zu Gesicht bekommt.“ Oder: „Oft muß ich schöne Einzelheiten, alles Gefällige und Genüßliche zerstören im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt dessen, was ich mit dem Bild meine.“3 Er sucht also den Ausdruck eines Werkes in aller Konsequenz, sogar in der Zerstörung des Materials, dem „Hindurchgehen” durch das Material, wie die weißen Flecken als „Spur seiner Abwesenheit“ aufzeigen. „Unschuldig“ klaffen sie in der dunklen „schmutzigen“ Umgebung, sind Wunden einerseits, andererseits aber auch Türen in eine neue Dimension. Sie geben Hoffnung auf etwas Neues, das hinter der Oberfläche liegen könnte. Darin ähneln sie Lucio Fontanas Konzept der „Tagli“ (seit 1958), Schnitte in der Leinwand, die in eine andere Wirklichkeit blicken lassen, auch wenn Schumacher in der Fläche des Tafelbildes bleibt und die Farbe als wichtigste Komponente seines Werkes beibehält.


Dabei bleibt das Formgefühl, entgegen der oben zitierten Aussage, niemals ganz außen vor. Auf den zweiten Blick bemerkt man etwa die feine Ausgewogenheit der schwarzen Flächen und Linien, sieht, wie der Künstler ordnend und harmonisierend den provozierten Zufall „nachbearbeitet“ hat. Schumachers Bildern kann man trotz ihrer rigorosen Verletzung eine besondere Schönheit nicht absprechen, sie sind beunruhigend, aber ästhetisch beunruhigend.


Coralie Rippl

 

 

1 Die Mappe Atischa ist verzeichnet in: Emil Schumacher. Die frühe Druckgraphik aus dem Abstracta-Verlag Freiburg i. Brsg., Werkverzeichnis, Freiburg i. Brsg. (o. J.), Kat. Nr. 12–20.
2 Vgl. Christoph Zuschlag, Das Aufbrechen der Materie. Zerstörung als bildnerisches Prinzip im Werk Emil Schumachers, in: Hans Gercke, Peter Anselm Riedl und ders. (Hrsg.), Emil Schumacher, Letzte Bilder 1997–1999, Heidelberg 2000, S. 16–22, hier S. 20.
3 Christoph Brockhaus, Werkstattgespräch mit Emil Schumacher, in: Ders. (Hrsg.), Emil Schumacher, Bonn 1987, S. 8–14, hier S. 12.