Siebdruck auf Karton
Maße: 47,6 x 65,6 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: signiert und datiert rechts unten, nummeriert links unten
Exemplar-Nummer: 1/100
Inventar-Nummer: 1002011
Augias Stall zu reinigen, die fünfte seiner zwölf Aufgaben, bewältigte Herkules, indem er einen Fluß durch den Viehhof leitete und von diesem die Hinterlassenschaften der gewaltigen Herde des Augias beseitigen ließ. Augias Stall ist der Titel eines Siebdrucks von Thomas Bayrle.1 Die verschiedenen Gegenstände werden von ihm so oft vervielfältigt, daß sie zusammengesetzt ein neues Bild ergeben, wobei das große Bild mit den einzelnen Gegenständen korrespondiert und somit einen inneren Zusammenhang gewinnt. In dieser Form spezieller Reproduktion eines massenmedialen Bildmotivs schließt Bayrle als deutscher Künstler an die amerikanische Pop Art und Minimal Art an.
Auf den ersten Blick sieht man eine dunkle Mistgabel auf gelbem Grund und darüber eine Reihe rotbrauner Kühe, die dem Betrachter ihre Hinteransicht präsentieren. Nun erst bemerkt man, daß der gelbe Grund aus den Schöpfen von Männern in roten Anzügen und Frauen in weißen Kleidern gebildet wird, die alternierend zu einem Rechteck zusammengedrängt sind. Nur die vorderste Reihe ist vollständig abgebildet, während von den übrigen Personen allein die Köpfe erkennbar sind. Darauf aufmerksam geworden, sucht man nach weiteren Einzelheiten, die einem entgangen sein könnten, und beginnt die Köpfe zu zählen. Das Bild zeigt 15 Kühe, deren Schwanzenden jeweils den Schwanzansatz der rechten Nachbarkuh berühren, wodurch sich eine Art Girlande bildet. Das gelbe Rechteck besteht aus 2820 Personen, die in 30 vertikalen Reihen zu je 47 Paaren aufgestellt sind. Sie erinnern in ihrer starren Ausrichtung an eine militärische Formation. Jede Spur von Individualität scheint verwischt, wäre da nicht die vergleichsweise kleine Gruppe jener 254 Personen, deren dunkle Häupter die Mistgabel bilden.
Man beginnt nun zu interpretieren, zu rätseln, was dies bedeuten könnte. Stellen die Kühe den Mist in den Köpfen der strohblonden Menge dar, deren Denken von einer andersartigen Minderheit von Querdenkern ausgemistet werden soll? Ist dies ein Hinweis auf den stupiden Konsum der Massen, auf ihre Angepaßtheit, ihre Gleichförmigkeit? Oder vertritt die Menge das Ideal des arischen Menschen, der in seiner Rassereinheit selbst zur Farce wird? Alles ist möglich. Vielleicht aber richtet sich dieses Werk auch nur gegen den Massenverzehr von Würstchen mit Pommes rot-weiß.
Veronika Berger
1 Thomas Bayrle, Graphik von 1967–72 und animierte Graphik von 1979–94, Köln 1995; Kat der Ausst. Thomas Bayrle, hrsg. v. Sabine Schulze, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a. M. 2002.