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LuYang

DOKU - the self

2022

3D-Animation, Ultra-HD, Sound, Ed. 1/6, 36:00 Min., Städtische Sammlung Erlangen

 

LuYangs Videoarbeit DOKU – the self gleicht einer eindringlichen Meditation über die Bedingungen des Daseins, die Schwierigkeit moralischen Urteilens und die Grenzen menschlicher Erkenntnis. DOKU, kurz für Dokusho Dokushi[1], der Protagonist des Films, sieht sich darin nach einem von Tod und Zerstörung geprägten Traum tatsächlich seinem eigenen Ende gegenüber. Im Moment des Sterbens in einer zerstörten Stadt erwacht DOKU in einem Flugzeug, das sich unmittelbar darauf in Turbulenzen befindet. Der Tod im Traum und die reale Lebensgefahr sind nur durch einen Wimpernschlag getrennt. Die Erzählstimme aus dem Off setzt diese Erfahrung mit daoistischen Gedanken in Verbindung, die sich in dem Satz „Ich bin die Person in meinem Traum, und ich bin auch der Träumer“ (3’24’’) widerspiegeln und so direkt auf Zhuangzis berühmten Schmetterlingstraum verweisen.

Der Film ist das erste Werk LuYangs, das seine 2020 geschaffene digitale Reinkarnation DOKU in eine umfassende Narration einbettet. Auf für LuYang charakteristische Weise kehren auch hier die Elemente älterer Arbeiten wieder, um in einer weiteren, komplexeren Welt zu neuen Konstellationen zusammenzufinden. Eine Konstante bildet hierbei das Motiv des Computerspiels, das in DOKU – the self als Metapher für das Wechselspiel der Wiedergeburten steht. Die sechs verschiedenen Charaktere, in denen der Avatar DOKU im Film in Erscheinung tritt, wurden bereits separat in LuYangs Oeuvre eingeführt. Sie entsprechen den sechs Daseinsbereichen (Sanskrit: Gatis) des Mahayana-Buddhismus, die wie folgt untergliedert sind: die Bereiche der Götter und der eifersüchtigen Götter (Sanskrit: Asuras), den des Menschen und darunter die Bereiche der Tiere, der hungrigen Geister und schließlich die Hölle.

In DOKU – the self präsentieren sich die sechs Avatare zunächst in einer musikvideoähnlichen Sequenz, auf die eine Reise der menschlichen DOKU-Figur in einer durchsichtigen Sphäre durch verschiedene fantastische Welten folgt. Dabei begegnet DOKU unter anderem seinem eigenen riesenhaften Ich, das in einem Meer aus seinen eigenen Tränen fast zu ertrinken scheint. In Referenz auf das buddhistische Streben nach einem Ausbruch aus dem Kreislauf der Wiedergeburten wird DOKU des Spiels, in das er hineingezogen wurde, schließlich überdrüssig und wendet sich höheren Sphären zu. Plakativ wirft er den Controller aus den Händen. Daraufhin steigt sein Körper in den Himmel auf und löst sich Stück für Stück im unendlichen, sternenbesetzten Universum auf. DOKUs virtueller Körper, seine Sinne und schließlich sein Selbst zersplittern in kleinste Kristalle und verschmelzen mit den Sternen.

LuYang beschäftigt sich in diesem Werk, seinen für DOKU programmatisch formulierten Anspruch weiterverfolgend, mit einer Überwindung des Denkens in gegensätzlichen Kategorien wie beispielsweise schön und hässlich oder gut und böse. In den Fokus der Aufmerksamkeit werden darüber hinaus Aspekte des Mitleids und die Idee einer Allverbundenheit der Lebewesen gerückt. Das Video endet in einer an ein Zen-buddhistisches Kōan (公案) erinnernden Sentenz: „Die Münze in meiner Hand und alles um die Münze herum, dort liegen sie“ (35‘42“). Das Ziel eines Kōans ist die Vermittlung der Erkenntnis der Nicht-Dualität: Ein Ich, das eine vom Rest des Daseins unterschiedene, unabhängige Existenz hätte, gibt es nicht.

[1] Nach chin. Dusheng dushi 独生独死 „wir leben und sterben alleine“.

 

Malte Lin-Kröger und Nora Gantert