Zwei Photographien
Maße: jeweils 117 x 154 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils verso signiert
Exemplar-Nummer: 3/3
Inventar-Nummer: 1002540.1–2
Der Himmel ist grau über dem streng angelegten Park, vor dem eine Unbekannte steht. Das zweiteilige Werk Diptyque 3 des französischen Photographen Jean-Louis Garnell vereint die klassischen Bildgattungen Portrait und Landschaft. Während der Park im linken Bild nur als unscharfer Hintergrund der Frau dient, wird er im rechten selbst zum vorrangigen Motiv. Das im Hintergrund stehende Paar wird dort erst auf den zweiten Blick sichtbar.
Mit seinen Diptyques, Triptyques und Suites will Garnell dem Betrachter mehrere Aspekte und Ansichten des Dargestellten vermitteln: „Die Welt, die Gegenwart und die Beziehungen des Menschen zu Raum und Zeit, zum Materiellen und zum Virtuellen.“1
Inwiefern hängen der Gemütszustand, die Lebenssituation und der Charakter der dargestellten Person mit ihrer Umgebung zusammen? Oder was könnte das Ambiente über die Unbekannte verraten, wenn es Garnell gar nicht darum geht, „ein bestimmtes Individuum zu portraitieren, als (vielmehr darum,) über das menschliche Gesicht nachzudenken“?2
Die Photographie sieht eher nach einer Momentaufnahme als nach einer Inszenierung aus: Die Unbekannte dreht sich von der Kamera weg in Richtung des Paares, das in der rechten Diptychonhälfte in Rückenansicht an der Balustrade steht und in die Ferne schaut. Mit vor der Brust verschränkten Armen wendet sie ihren Kopf zum Photographen, den Blick gesenkt, ernst wirkend.
Durch die unterschiedlichen Größenverhältnisse der aufgenommenen Personen, die verschiedenen Schärfeeinstellungen und die „Zweiteilung“ der Szenerie – auch die Zwischenräume der beiden Abzüge beziehungsweise die motivischen Überlappungen der beiden Aufnahmen haben ihre Bedeutung – entsteht Distanz zwischen der Unbekannten und den Personen im rechten Bild. Insgesamt erinnert die Szenerie mit dem gepflegten Park an Alain Resnais’ Film „Letztes Jahr in Marienbad“ (1961), in dem sich ein Mann und eine Frau ein Jahr nach ihrer Affäre wiedersehen. Durch Gedankensprünge in die Vergangenheit versucht er bei ihr die Erinnerung daran wieder zu wecken, denn sie kann oder will sich nicht erinnern. Verschiedene Bewußtseinsebenen – Realität und Traum, Gegenwärtiges und Vergangenes – könnten durch die Zweiteilung des Werkes assoziiert werden. Demnach könnte das Paar im rechten Bild Teil einer Erinnerung der Unbekannten an jene Zweisamkeit sein. Der wolkenverhangene Himmel erscheint als Spiegel ihrer Seele.
Bewußt verzichtete Garnell für die Aufnahme auf warme Farben, Sonnenschein und überflüssige Bildgegenstände. Einsamkeit und vielleicht auch Trauer werden auf diese Weise verbildlicht und dabei sind es das Diptychon, anders als das Photo, und das Photo, anders als der Film, die gerade diese suggestive Wirkung von Clichés kenntlich machen. Nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“ enthält der Naturwissenschaftler und Informatiker Garnell dem Betrachter das meiste vor, schafft es aber dennoch auszudrücken, was Worte nicht vermögen.
Jari Ortwig
1 Uta Nusser (Hrsg.), Jean-Louis Garnell, in: Kat. der Ausst. Jean-Louis Garnell, Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Stuttgart 2001, S. 112.
2 Urs Stahel, Jean-Louis Garnell. Werke 1985–95, Winterthur 1995, S. 60.