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Günther Uecker

Feldstrukturen

1977

Kassette mit zehn Radierungen auf Bütten zu einem Gedicht von Eugen Gomringer
Maße: jeweils 24 x 24 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert und datiert rechts unten, nummeriert links unten
Exemplar-Nummer: 19/35
Herausgeber: Edition Waßermann, München
Verlag: edition e, München
Inventar-Nummer: 1000255.1–10

 

Günther Ueckers zehnteiliger Zyklus Feldstrukturen verbindet ein Werk der Konkreten Poesie mit entsprechenden bildnerischen Mitteln der Konkreten Kunst. Das Gedicht von Eugen Gomringer1 und die zugeordneten Radierungen tragen denselben Titel. Seinen poetischen Inhalt formt das Gedicht stufenweise durch anwachsende optische (typographische) und lautmalerische Mittel. Jeder Seite des Gedichtes ist eine Graphik Ueckers gegenübergestellt. Der Gedichtzyklus beginnt mit den Worten: es ist ein licht möglich


In Analogie dazu hat Uecker in die Mitte des gegenüberliegenden Blattes eine quadratische Fläche von ca. zwölf cm Seitenlänge einprägen lassen. Die reliefartig vertiefte Fläche stammt vom Abdruck einer noch unbearbeiteten Druckplatte. Der Rand des inneren Bildraums wird durch das so entstandene Profil wie durch einen Rahmen betont.
So wie Licht Formen visuell wahrnehmbar macht und sie Gestalt gewinnen läßt, wird hier ein Bildraum vorbereitet, Weiß in Weiß, der die Entfaltung kommender Strukturen einleitet. Weiß als Farbe beinhaltet das gesamte Farbspektrum. Durch die Einprägung des Quadrates wird ein Raum für unbegrenzte Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks freigegeben. Der erste Satz in Gomringers Gedicht erinnert an den Schöpfungsmythos des Alten Testamentes. Im Bild selbst beginnt hier die Genesis eines analogen künstlerischen Werkes. Auf der zweiten Seite des Gedichtes ist zum vorherigen Vers ein zweiter ergänzt worden. Im linken unteren Viertel des Blattes steht nun: es ist ein licht möglich und es ist ein plan möglich Die wachsenden Strukturen im Text werden von Uecker im Bild graphisch umgesetzt.


Der Gedichtseite steht wiederum der weiße Karton gegenüber, in dessen Mitte erneut das eingeprägte Quadrat freibleibt. In der Bildfläche befinden sich einzelne, unregelmäßig verteilte schwarze Farbpartikel, die in ihrer Größe, Form und in ihrem Abstand zueinander unterschiedlich sind. Sie häufen sich in der linken unteren Ecke. Eine erste ungeordnete Struktur wird angedeutet. Die Entstehung eines Bildes ist denkbar. In der Vorstellungskraft erhält die scheinbare Unordnung der schwarzen Farbteilchen eine Ordnung, eine „mögliche Planung“.


Die geistige Haltung Ueckers ist im Kontext der Künstlervereinigung Zero zu verstehen, die um 1960 mit seriellen Bildordnungen und vibrierenden Lichtstrukturen zur „Erweiterung des traditionellen Kunstbegriffs“ beitrug.2 Aus den egalitären Prinzipien der Technik entstand auch der Versuch einer politischen Demokratisierung in der gestaltenden Kunst. Ein „Konkretwerden“ des schöpferischen Geistes, der das kreative Schaffen durch Planung ermöglicht. „Bei Zero ist die Struktur eng mit der Monochromie verknüpft, u. a. mit der Verwendung der Nichtfarben Schwarz und Weiß. (…) Die Struktur bedeutet die Verabschiedung der Komposition als bildnerische Ordnung.“3


Der 1930 im bäuerlichen Milieu geborene Uecker war noch in Nazideutschland aufgewachsen und hatte 1949 in Ostberlin unter der Doktrin des Sozialistischen Realismus zu studieren begonnen. Vier Jahre später setzte er sein Studium an der Akademie in Düsseldorf fort. Dort fand er auf der Suche nach Möglichkeiten der Befreiung von ideologisch starren Denkstrukturen Zuspruch bei seinem Lehrer Otto Pankok. Dessen christliche, antifaschistische und sozial fundierte Haltung gab Uecker ein neues Vertrauen in die Kunst.


In der Kontinuität des Gedicht- und Graphikzyklus sieht der Betrachter von Text zu Text, von Bild zu Bild, ein Anwachsen der Strukturen. Am Ende greift Gomringer auf den ersten Vers zurück und bestätigt diesen mit den Worten: und es werden zeichen erkannt.
Dieser Satz gilt auch für das dazugehörige Bild, in dessen Strukturen, jeweils individuell verschieden, Zeichen erkannt werden können.


Sven Künzel

 

 

1 Feldstrukturen
es ist ein licht möglich
und es ist ein plan möglich
und es ist ein wort möglich
und es ist die wirkliche spur
und es ist der wirkliche weg
und es ist der wirkliche satz
und es ist die zahl notwendig
und es ist das ziel notwendig
und es ist das bild notwendig
und es werden zeichen erkannt
gomringer 77
2 Annette Kuhn, ZERO. Eine Avantgarde der sechziger Jahre, Frankfurt a. M. / Berlin 1991, S. 10.
3 a. a. O., S. 66.