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Gerhard Richter

Flugzeug I

1966

Siebdruck
Maße: 59 x 81 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: signiert rechts unten, nummeriert links unten
Exemplar-Nummer: 1/10 (Probedruck)
Inventar-Nummer: 1001962

 

Wie hoch ist der Realitätsanspruch der Photographie und was kann die Malerei, das die Photographie nicht kann? Fragen, die mit dem Werk Gerhard Richters unmittelbar in Verbindung stehen, und dies nicht nur in seinen Arbeiten mit Ölfarbe nach photographischen Vorlagen, sondern auch in seiner Druckgraphik – darunter diese Reproduktion eines Bildes von Militärflugzeugen.1 Hier bringt Richter seine Zweifel am Realitätsanspruch der Photographie zum Ausdruck, indem er die Unvollständigkeit des Informationsgehaltes einer photographischen Darstellung bloßstellt.


Auf dem Blatt sind im Siebdruckverfahren drei Kampfflieger abgebildet, die versetzt zueinander in den weiten Himmel aufzusteigen scheinen. Wahrscheinlich handelt es sich um amerikanische, in Deutschland stationierte Flugzeuge der NATO, deren Zeitungsabbildungen Richter gesammelt und als Motivvorlage für gedruckte und gemalte Arbeiten verwendet hat.2 Vielleicht hatten ihn der Vietnamkrieg, der in den 1960er Jahren für heftige Proteste sorgte, und die ihn begleitende Bilderflut in den Medien beschäftigt.


Vergißt man die Tatsache, daß es sich bei den abgebildeten Maschinen um Kriegsinstrumente handelt, könnte der Anblick eine Faszination für die Flugzeuge hervorrufen, für ihre Schnelligkeit und Stärke, für die Leichtigkeit und Freiheit, mit denen sie die Lüfte durchschneiden. Betroffenheit und Abschreckung durch die Zerstörungsgewalt und die Todesopfer infolge der Luftangriffe läßt diese Darstellung vermutlich nicht entstehen. Und gerade dies ist der falsche Eindruck, der durch die Bilder in der Zeitung oder im Fernsehen, die nur einen Teil der Ereignisse wiedergeben, vermittelt wird. „Solche Bilder können gar nichts gegen Krieg ausrichten. Sie zeigen ja auch nur einen sehr kleinen Aspekt vom Thema Krieg.“3


Die Leser der Tageszeitung oder die Fernsehzuschauer, die sich weit weg vom eigentlichen Geschehen in Sicherheit wiegen, bilden sich ihre Meinung und ihr Empfinden in der Regel durch die Informationen und Bilder, die ihnen die Medien vorgeben. Richter warnt vor dem „blinden“ Vertrauen auf die Medien und der „Selbstverständlichkeit, mit der wir aufsehenerregende Schicksale millionenfach aus zweiter Hand verfolgen.“4


Durch die Unschärfe, die grobe Rasterung des Siebdrucks und die Nivellierung von Blau und Grau des Himmels und der Kampfflieger erhält die Darstellung die Bildwirkung eines Schleiers – so wie durch die Medien nur die halbe Wahrheit ans Tageslicht kommt. Richter negiert durch diese Gestaltungselemente den dokumentarischen Anspruch der Photographie. Er produziert ein Bild von einem Photo und verfremdet dieses so, daß das Motiv zwar noch zu erkennen ist, aber im Gegensatz zum Wahrheitsanspruch der Photographie nicht mehr die Gefahr besteht, es für ein Bild der Wirklichkeit zu halten.
„Ich hatte eine bestimmte Beziehung zu Grau (…). Es war auch ein Mittel, mein Verhältnis zur scheinbaren Wirklichkeit kenntlich zu machen; weil ich nicht behaupten wollte: so ist es und nicht anders. Vielleicht wollte ich auch nicht, daß man die Bilder mit der Wirklichkeit verwechselt.“5 Indem Richter die Eindeutigkeit des medial rezipierten Bildes mit Hilfe der Unschärfe unterläuft, stellt er die Vieldeutigkeit des Bildes wieder her.


Jari Ortwig

 

 

1 Vgl. Hubertus Butin, Stefan Gronert (Hrsg.), Gerhard Richter, Editionen 1965–2004. Catalogue raisonné, Ostfildern-Ruit 2004, Wv. Nr. 5, S. 128.
2 Vgl. Robert Storr, Gerhard Richter. Malerei, in: Kat. der Ausst. Gerhard Richter. Forty Years of Painting, The Museum of Modern Art, New York 2002 (Deutsche Ausgabe: Ostfildern-Ruit 2002), S. 39.
3 Gerhard Richter, z it. nach: Kat. Richter 2002, S. 39.
4 Gerhard Richter, zit. nach: Kat. der Ausst. Gerhard Richter. Bilder. Paintings 1962–1985, Kunsthalle Düsseldorf / Nationalgalerie Berlin 1986, Düsseldorf 1986, S. 21.
5 Gerhard Richter, zit. nach: Hans-Ulrich Obrist (Hrsg.), Gerhard Richter. Text. Schriften und Interviews, Frankfurt a. M. / Leipzig 1994, S. 66.