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Johannes Brus

Geisterstilleben

1974/80

Kassette mit fünf schwarz-weiß Photographien, chemische Bearbeitung, farbige Tönung und eine Collage mit Lackübermalung
Maße: jeweils 42 x 56 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils verso signiert rechts unten
Unikat
Inventar-Nummer: 1001551.1–6

 

Ein professioneller Fotograf mag entsetzt sein über Johannes Brus’ Bilder, denn der Künstler hält sich nicht an die Normen der konventionellen Fotografie. Die Abzüge verstören und begeistern gleichermaßen. Gewollt unscharf und ins Surreale verschoben, zwingen die Stilleben den Betrachter zu einem neuen Sehen des Dargestellten. Die Geisterstilleben geben Rätsel auf. Ihre Konturen scheinen in schwungvoller Bewegung zu verschwimmen, so daß sie weder tot noch lebendig wirken, auch wegen des gespenstischen Nebels, der sie umgibt. Es sind Stilleben, die wie von Geisterhand zum Leben erweckt werden. Aus dem Nebel tauchen gedeckte Tische auf, Szenen, die an das Letzte Abendmahl und die Lehre von der Transsubstantiation erinnern. Unheimliches und Unmögliches scheinen wahr zu werden. Brus verändert mit komplizierten chemischen und physikalischen Prozessen das gewohnte Entwicklungsverfahren oder koloriert seine Fotos nachträglich und verfremdet so die Bilder der realen Welt.Durch den experimentellen Umgang mit den Möglichkeiten von Überblendung und Montage von Negativen ergibt sich ein malerischer Charakter.

 

„Brus ist ein Künstler, der mit der Fotografie wie ein Maler verfährt. Ein Maler (…) muß ein Gemälde erst ermalen, während das fotografische Bild stets a priori vorhanden ist; sei es als potentiell fotografierbares Erscheinungsbild der empirischen Realität, sei es als sein fixiertes Abbild.“ 1 Die Turbulenzen in der Bildherstellung fordern den Betrachter zu einer anderen Orientierung im Chaos auf, durch welche er neue Zusammenhänge sehen kann. Karlheinz Nowald schreibt, Brus interessierten „Vieldeutigkeiten, Bedeutungsadditionen, -überkreuzungen, -durchdringungen, Zerstörungen des empirischen, positivistischen Bildes von der Wirklichkeit, die sich unter seinem Blick auflöst und verwandelt.“ Die Geisterstilleben seien ein Schritt zur „Sterbestunde einer Bildgattung, die eine Art ewiges Leben aus der Leichenstarre ihrer Gegenstände gezogen hatte.“ 2 Durch die sich verselbständigenden Gegenstände, die den Raum durchschweben, und ihr surreal-mystisches Eigenleben verleiht er dieser Gattung einen neuen Drive. Brus verbindet, collagierend und kolorierend, auf spannende Weise verschiedene Medien der bildenden Kunst. Wie in der Malerei prozessualisiert er die Fotografie und verleiht ihr seinen künstlerischen Fingerabdruck.


Melanie Bollmann

 

 

1 Klaus Honnef, Ein Abenteurer im Reiche des Sichtbaren. Zu den fotografischen Bildern von Johannes
Brus, in: Kat. der Ausst. Johannes Brus. Fotoarbeiten, Hrsg. Städtische Galerie Erlangen 1990, S. 103.
2 Kat. der Ausst. Johannes Brus – Arbeiten von 1971–1978, hrsg. v. Galerie Defet Nürnberg, Herten 1980, o. S.