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Hetum Gruber

Gewalt im Januar

1985

14-teilige Fotoarbeit
Maße: neun Blätter jeweils 43,2 x 60,5 cm, fünf Blätter jeweils 35,2 x 53,2 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: verso nummeriert auf dem Rahmen
Inventar-Nummer: 1001348.1–14

 

„Das Fotografieren ist der konkrete, bildauslösende Akt, der durch Betätigen des Auslösers aktualisiert wird. In diesem Akt kann die Intention des Fotografen beim Blick durch den Sucher im Bildausschnitt genau erfaßt sein und mit der Vorstellung vom späteren Bild zusammengehen.“1
Hetum Gruber geht anders vor. Um den Akt des Bildermachens zu verdeutlichen, photographiert er aus der Bewegung heraus oder hält nur Fragmente der Umgebung photographisch fest. Ganz im Sinne der Concept Art mißt er der Ausführung des Kunstwerks weit weniger Bedeutung zu als dem zugrunde liegenden Konzept. Im Vordergrund steht der Arbeitsprozeß als Vermittlung zwischen Denken und Machen.


Die 14teilige Photoarbeit Gewalt im Januar zeigt auf besondere Weise die Doppeldeutigkeit der Photographie. Bewegung und Fragmenthaftigkeit stehen unwillkürlich nebeneinander. Fünf Bilder nahm Gruber mit dem Selbstauslöser auf. Die Kamera hing am Ast eines Baumes und zeichnete den wiederholten, strauchelnden Lauf des Künstlers auf einem verschneiten Waldweg in gleichmäßigen Zeitabständen auf. Die statische Kamera „friert“ die sich bewegende Figur in unterschiedlichen Positionen ein. Acht weitere Aufnahmen entstanden nach einem umgekehrten Prinzip: Gruber hielt während seines Laufs die Kamera über dem Kopf und photographierte mit langer Belichtungszeit. Die Kamera war ihrerseits in Bewegung und machte verwischte Bilder von statischen Objekten, von Bäumen. Während zunächst die Bewegung des Motivs im räumlichen und zeitlichen Ausschnitt der Kamera erfaßt wurde, brachte deren Bewegung das stille Motiv nur flüchtig ins Bild.


In der gesamten Serie fällt ein Bild besonders auf. Auf den ersten Blick kaum zu erkennen, scheint es gar nicht in die Reihe der übrigen Photographien zu gehören. Es ist die rechte Hand des David von Michelangelo (1504), aufgenommen aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel. Die verzerrende Nahsicht auf die Statue, die aus der Distanz betrachtet das Ideal an Proportionalität verkörpert, läßt die räumliche Vorstellung verschwinden, ähnlich den Bildern, die während des Laufens von den Bäumen aus gemacht wurden.


Die Bewegung und die zufälligen Ausschnitte der Umgebung versuchen das stabilisierende Prinzip der konventionellen Photographie zu unterlaufen. Die Kamera bestätigt nicht die herkömmliche Sicht auf das, was sie abbildet. Die im Laufen gemachten Aufnahmen verstärken den Eindruck von Malerei, sie führen zu einer medialen Verschmelzung von Subjekt und Objekt des photographischen Bildes. Auch in den Aufnahmen mit Selbstauslöser wird die Photographie ihrem herkömmlichen Prinzip entfremdet, denn Gruber hat sie aus der Hand gegeben, um eine neue Sicht auf den Menschen zu entdecken.


Monika Uliarczyk

 

 

1 Manfred Schmalriede, Die Fotografie unterlaufen – die Bilder wiederfinden, in: Kat. der Ausst. Hetum Gruber. Nichts geht ohne eine Vision davon. Skulpturen, Fotoarbeiten, Zeichnungen, Hrsg. Städtische Galerie Erlangen 1987, S. 75.