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Joseph Kosuth

Intentio (Project)

1984/1985

Serie von vier photographischen Reproduktionen auf Agfa Brovira
Spezial Photopapier, darauf Siebdruck in Lackfarbe in Weiß, Gelb, Rot, Grün, Blau, Schwarz, in originaler Rahmung
Maße: Blatt A: 180 x 112,5 cm, Blatt B: 167,5 x 112,5 cm, Blatt C: 175 x 112,5 cm, Blatt D: 165 x 112,5 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: Blatt A verso signiert und datiert rechts unten
Exemplar-Nummer: Dritte Gruppe von 16
Druck: éditions média, Neuchâtel (Schweiz)
Inventar-Nummer: 1001151.1–4

 

Intentio besteht aus vier systematisch einander zugeordneten Blättern. Ausgewählte Texte zu Problemen der Sprachenvielfalt in Europa, aus Büchern des 19. Jahrhunderts mit unterschiedlicher Typographie,1 finden sich dort in photographisch vergrößernder Reproduktion stets in derselben Reihenfolge, mit einem Abstand von 1,5 cm zwischen den Rahmen angeordnet. Auf die Blätter wurden farbige Andreaskreuze und weiße Rechtecke gedruckt. Auf das Photopapier geschraubte Rahmenstücke aus grauen Holzleisten komplettieren das Werk. Die Innenkanten sind farblich passend den Akzentuierungen in Lackfarbe zugeordnet. Ausnahmslos ist jedoch Schwarz für alle Innenseiten der unteren, horizontalen Rahmenleisten vorgeschrieben.


Pro Bogen fällt der Blick auf ein rechteckiges, weißes Feld, das den Text stellenweise überdeckt. Es ist auf den vergrößerten Buchseiten mit Siebdruck aufgetragen. Die einzigen Farbakzente setzen kleine Andreaskreuze, welche in Gelb, Rot, Grün, Blau oder Schwarz über die Flächen verstreut sind. Von Fall zu Fall sitzen sie auch auf den Siebdruckflächen beziehungsweise darunter. Immer vier dieser „croix“ finden sich auf einem Blatt. Den Sinnzusammenhang des Geschriebenen scheinbar zerstörend, sind die Markierungen auf den Texttafeln nicht zufällig plaziert.


Was ist Sprache? Was ist Schrift? Verbundene Einzelbuchstaben lassen Wörter entstehen. Sinnvolle, oft inhaltsschwere Aussagen können – in den verschiedenen Sprachen – anders formuliert und mehrfach gedeutet werden. Der Text auf dem ersten Blatt handelt beispielsweise von einem „Jugement sur la langue allemande (Urteil über die deutsche Sprache)“2 und spricht eine „Vermittlerfunktion der deutschen Sprache an.“3 Übersetzungen sind nie wortgetreu, denn im Ausdruck der verschiedenen Sprachen steckt die Vielfalt kultureller Entwicklungen. Der Sprachvergleich wird von Kosuth im zweiten Bild thematisiert, in dem exemplarisch ein deutsch-italienischer Dialog in deutscher Sprache inszeniert wird. Diskutiert wird, welche Wörter einer Sprache einzelne Bedeutungen genauer beschreiben. Das dritte Blatt befaßt sich mit Ungenauigkeiten, hervorgerufen durch Übertragungsfehler. Der Aussprache und Übersetzung ist das letzte Blatt gewidmet. Aussprachefehler führen zu Sinnveränderungen, die unbeabsichtigt irreführende Fehldeutungen provozieren. In der Reihenfolge Französisch, Deutsch/Italienisch, Italienisch, Englisch/Französisch dominiert die Schrift jeweils das Bildfeld. So zeigt Kosuth durch visuelle Verfremdung im Erscheinungsbild der Texte Beispiele für Kommunikationsprobleme in und zwischen unterschiedlichen Sprachen auf.4


Das Werk beleuchtet mit Mitteln der Kunst die Verständigungsprobleme bei der Vermittlung einer Intention im Medium der Sprache. Was fehlt? Was ist wichtig? Die „Leerstellen“ und farbigen Akzente provozieren diese Fragen, es bleibt auch „zwischen den Zeilen zu lesen“.


Sonja Kammerlander

 

 

1 Renate Damsch-Wiehager, Werklogik und Subjektivität. Joseph Kosuths Esslinger Installationen für Robert Musil im Kontext seiner Arbeiten der achtziger Jahre, in: Kat der Ausst. Joseph Kosuth – Kein Ding, Kein Ich, Keine Form, Kein Grundsatz (Sind Sicher) / no thing, no self, no form, no principle (was certain), hrsg. v. Renate Damsch-Wiehager, Stuttgart 1993, S. 68–86, hier S. 73.
2 Ebd., S. 74.
3 Ebd.
4 Ebd.