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Hans Hartung

La première métamorphose du feu

1985

Kassette mit drei Lithographien und drei Blättern mit elf Textfragmenten von Heraklit in Französisch auf Arches Velin-Papier
Maße: jeweils 57 x 44,5 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert rechts unten und nummeriert links unten
Exemplar-Nummer: 77/90
Druck: Pierre Chave, Vence
Druck (Text): François Da Ros, Paris
Verlag: F. B., Paris
Inventar-Nummer: 1002665.1–3

 

„Die erste Verwandlung des Feuers“ lautet der übersetzte Titel des dreiteiligen Mappenwerks, das sich auf ausgewählte Aphorismen des Griechen Heraklit bezieht. Herakleitos aus Ephesos, Verfasser von geistreich und treffend formulierten Sinnsätzen, war Hartung bereits aus seinem Studium bekannt – hier übersetzt er die Definition von „Energie“ des Naturphilosophen in seine persönliche Bildsprache.
In der ersten von drei Klappmappen, die fortlaufend mit den in französischer Sprache gehaltenen Textfragmenten bedruckt sind, findet sich die abgebildete Lithographie.
Kraftvoll, impulsiv geschwungen winden sich die Linien von links unten nach rechts oben. Sie geben den Blick frei auf die leuchtenden Farben Weiß, Gelb, Blau und eine Spur Rot, welche unter der „erstarrten“ schwarzen Farbschicht aufgetragen wurden. Mit Nachdruck arbeitete Hartung sich mit spitzem Werkzeug in die Farbe hinein. Ihre Intensität nimmt von außen nach innen ab. Der Übergang von Gelb zu Weiß ist fließend, während die blauen Ränder von Farbspritzern gefleckt sind.


Auf diesem Blatt lassen sich dynamische Bewegungen und lebhafte Farbnuancen erkennen, während sich auf dem nächsten Blatt unendlich viele feine Krater auf gerollten Farbbahnen überkreuzen. Sie ziehen sich über dünnere, graue und matte Farben. Das letzte Blatt hat einen dunklen Kern aus groben Pinselstrichen. Fast wie hingeworfen auf die Unterlage des Bildträgers überdecken sie mittig große Teile der nun wieder leuchtenden Farben des Untergrundes Blau, Gelb und Weiß.


Eingeleitet wird das Werk mit den Worten: „VIVRE DE MORT ET MOURIR DE VIE.“1 „Vom Tod leben und am Leben sterben“ und weiter heißt es im Mappentext zum ersten Bild: „Nach dem Tod erwarten die Menschen Dinge, die sie nicht erwarten, die sie sich nicht einmal vorstellen können. Die Welt, ein gleichförmiges Gebilde, ist weder von einem Gott noch von einem Menschen erschaffen worden. Aber es hat sie immer gegeben, es gibt sie und wird sie immer geben, ein ewig lebendes Feuer, das maßvoll entflammt und maßvoll erlischt.“2


Konkrete Überlegungen zu den Kräften und Gegenkräften des Lebens, reduziert bis zum präzisen Ausdruck des Harmonischen, stehen hinter den Formfindungsprozessen von Hartung. Sein ganzes Künstlerleben begleitete ihn das Gedankenspiel um die Dynamik der Welt. Mit den Orakelsprüchen des Heraklit hat er zu einer Komposition gefunden, die im Stil des Informel energetisch aufgeladen und ausdrucksstark die Metamorphose der Elemente zeigt. Die Welt wandelt sich unablässig, der über 80jährige Hartung abstrahiert diesen Prozeß eindrucksvoll und veranschaulicht die sprichwörtliche „Dramatik der Existenz“.3


Sonja Kammerlander

 

 

1 Original Mappentext
2 Übersetzung: Ilse Wittmann
3 Vgl.: Werner Haftmann, Über die Formwandlungen in seinem Werk, in: Kat der Ausst. Hans Hartung. Retrospektive 1921–1973, Gemälde, Tuschen und Zeichnungen. Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1975.