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John Hilliard

Off Screen No. 1

1999

Cibachrome auf Aluminium
Maße: 124 x 156 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: Verso signiert
Inventar-Nummer: 1002494

 

Bei dem großformatigen Photo Off Screen No.1 des britischen Künstlers John Hilliard fällt zunächst auf, daß fast die gesamte Bildfläche von einer aufgespannten weißen Projektionsleinwand eingenommen wird. Diese scheint in einer Art gehobenem Gastronomiebetrieb zu stehen, mit eleganter Holzmöblierung und einem Ölgemälde an der Wand. Das eher jüngere Publikum sitzt oder steht mit Rotweingläsern im Raum, und blickt interessiert auf die Rückseite der Leinwand. Insofern nahezu die gesamte Bildfläche von der weißen Fläche eingenommen wird, erscheint die Szenerie des Hintergrundes beinahe wie deren Rahmen. Das eigentliche Motiv im klassischen Sinne wird hier an den Rand gerückt. Die schräge Positionierung der Stühle der beiden Personen in den unteren Ecken würde den Blick des Betrachters, wenn er nicht behindert wäre, in den Bildraum hineinführen. Das Quadrat der Leinwand ist eine Einladung an ihn, den Rest des Bildes gedanklich zu ergänzen, zu überlegen, was verdeckt wird.


Die dunkelhaarige Frau rechts im Bild, die sich gerade zur Leinwand umdreht, erweckt den Eindruck einer Momentaufnahme, obwohl die Szene insgesamt gestellt wirkt. Von der Leinwand scheint Licht auszugehen, wie im bläulichen Schimmer auf dem Ölgemälde zu sehen. Hinzu kommt Licht von den Wandlampen links im Bild und von unsichtbaren Lichtquellen, die von rechts und links die sitzenden Personen anleuchten. All diese Elemente tragen dazu bei, die Neugier des Betrachters auf das Geschehen hinter der Leinwand zu lenken.


Im Englischen bezeichnet „screen“ sowohl die (Film-)Leinwand als auch eine Abschirmung oder einen Paravent. Off Screen bedeutet „nicht auf der Leinwand“, also im realen Leben. In diesem Werk schirmt die Leinwand die Szene, die dahinter liegt ab, so daß beide Bedeutungen von „screen“ zutreffen.1 Hilliard selbst sagt über sich: „Dieses Wegfiltern, Reduzieren und Verschleiern ist seit jeher ein charakteristisches Merkmal meiner Arbeit gewesen, ein deutliches Symptom meiner chronischen Unzufriedenheit mit dem photographischen Medium, das wiederum auch das Medium meiner Wahl ist.“2 Der Künstler will mit den Grundelementen der Verleugnung des Bildes, der Ausschaltung des Narrativen und der Konstruktion von Hindernissen, die dem Vergnügen visueller Konsumtion im Weg stehen, dem Betrachter den einfachen Zugang zu seinen Werken erschweren.3 Dies trifft aber auf fast alle Werke Hilliards zu, nicht nur auf das hier beschriebene. Der Künstler teilt dem Betrachter stets weniger mit, als er braucht, um den Blick befriedigt abzuwenden. Statt dessen photographiert er gleichsam die Photographie, die immer nur einen statischen Ausschnitt einer Situation liefern kann.

Der Medientheoretiker Marshall McLuhan nennt das daraus Resultierende in seinem Buch Understanding Media „the act of completion“, den Akt des Ergänzens.4 Damit ist „das Bemühen des Betrachters, ein Bild zu begreifen, das tiefere Verständnis, welches sich einstellt durch seine aktive Beteiligung, und die aus diesem partizipatorischen Akt resultierende Befriedigung“ gemeint.5 Man ist gehalten, die freie Fläche der Leinwand, auf die im Kino ja auch die filmgewordenen Sehnsüchte der Menschen projiziert werden, mit eigenen Bildern zu füllen.


Vanessa Krout

 

 

1 Kat. der Ausst. John Hilliard, The Less Said The Better, Hrsg. Karl Manfred Fischer, Lisa Puyplat, Städtische Galerie Erlangen, Heidelberg 2003, S. 11.
2 John Hilliard, Die Kunst des Eliminierens (Teil II), in: Kat. der Ausst. John Hilliard. Arbeiten 1990–1996, Krems 1997, S. 16 ff.
3 Vgl. Marina Wallace und John Hilliard, John Hilliard, Hrsg. Uta Nusser, Heidelberg 1999, S. 21.
4 Kat. Hilliard 2003, S. 1.
5 Ebd.