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Donald Judd

Rot auf Papier

1961–69

Holzschnitt
Maße: 78,8 x 57 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: signiert rechts unten, datiert und nummeriert links unten ("Rot auf Papier"); signiert links unten ("Blau auf Papier")
Exemplar-Nummer: 6/6
Druck: Roy C. Judd
Inventar-Nummer: 1001864 und 1001865

 

„Farbe ist Material. Sie ist so oder so, aber sie existiert unabweislich.“ (Donald Judd)1  


Jede illusionistische Funktion und jede Symbolik der Farbe schloß Donald Judd kategorisch aus, sie soll stattdessen um ihrer selbst willen gezeigt werden. Der hier gewählte Farbklang Rot/Blau gehört zu einer Reihe definierter Kombinationen, die Judd als „kontrastierende Farbenpaare“ bezeichnet hat.2 In ihnen soll die unmodulierte Reinheit der Farbe erhalten bleiben, die in illusionistischen Gemälden gar nicht vorkommen kann. Judd benutzt deshalb zwei separate Blätter, die jedoch keine Pendants darstellen, sondern ein Paar individueller Holzschnitte3 bilden, denn „zwei Farben auf derselben Fläche befinden sich fast immer (optisch) in verschiedenen Tiefenebenen“4 und erzeugen eine räumliche Illusion, die er unbedingt vermeiden wollte.


Vielmehr strebte Judd eine Kunst an, die „vor Vögeln sicher“ ist. Im Gegensatz zu Zeuxis, einem Künstler des antiken Griechenland, der für seine illusionistisch perfekt gemalten Trauben, an denen die Vögel pickten, bekannt war, wollte Judd, daß sich die Vögel – bzw. die Betrachter – nicht täuschen lassen und seine Bilder als das sehen, was sie sind: Form und Farbe. „Erscheinung zu simulieren verträgt sich nicht mit meinem fortgeschrittenen Interesse an Farbe.“5 Judd vermied zwar den Illusionismus, aber dennoch schuf er durch den Bezug der Farbe zur Fläche und der Bilder zueinander Illusionen.6 Sein Interesse galt dem Sehen. Er färbte nicht die gesamte Fläche ein, sondern stellte die jeweilige Farbe auf Papier, auf Weiß dar. Daraus ergaben sich die optischen Wirkungen, mit denen er den Betrachter konfrontiert.


Rot und Blau bilden jeweils mit dem Weiß des Papiers ein „Zweifarben-Monochrom“, ihre Kombination ist uns „so vertraut, dass sie fast eine neue Einheit bilden“7. So wird die Farbe zu einer Form, einer Figur auf einem Grund. Judd wählte dabei nicht wie so häufig ein Rechteck, sondern ein Parallelogramm. So entsteht eine perspektivische Wirkung, eine Vorstellung von Raum. Farbe und Grund treten in ein Verhältnis zueinander, das genaues Hinsehen erfordert. Zu sehen sind nämlich nicht etwa zwei Parallelogramme mit einbeschriebenen weißen Linien, die „Linien“ sind vielmehr ausgespart und schneiden in die Parallelogramme so ein, daß die entstehenden Streifen oder Balken, sowohl die vertikalen, als auch der jeweils horizontale, alle exakt die gleiche Breite aufweisen. Farbform und Papiergrund sind gleichwertig, scheinen sich gegenseitig zu durchdringen.


Weitere Beobachtungen ergeben sich aus dem Verhältnis der Blätter zueinander. Läßt man seinen Blick nach längerer Betrachtung über die weiße Wand zum zweiten Blatt gleiten, entspricht der Nachbildeffekt der ersten Bildfläche farblich der zweiten. Spätestens dabei wird bewußt, daß die Drucke formal nicht identisch sind: Einmal nämlich verläuft die horizontale weiße Aussparung durchgehend vom linken bis zum rechten Balken, einmal trennt sie nur jeden zweiten Balken von der Horizontale ab. Die Strukturen sind weniger starr als sie scheinen.
Judd will den Blick schärfen, durch kleine Unterschiede zeigen, daß nichts so sein muß, wie es scheint. Optische Täuschung des Auges zur optischen Ent-Täuschung des Geistes durch bewußte Wahrnehmung.


Anja Simon

 

 

1 Donald Judd, Einige Aspekte von Farbe im Allgemeinen und Rot und Schwarz im Besonderen, in: Kat. der Ausst. Donald Judd, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, hrsg. v. Nicholas Serota. Köln 2004, S. 149.
2 Vgl. Kat. Judd 2004, S. 158; z. B. Rot-Schwarz.
3 Kat. der Ausst. Don Judd. Prints 1951–1993, Köln / New York 1993, Nr. 49 (Rot auf Papier), 64 (Blau auf Papier).
4 Donald Judd, Spezifische Objekte, zit. nach: Richard Shiff, Donald Judd. Vor Vögeln sicher, in: Kat. Judd 2004, S. 41.
5 Kat. Judd 2004, S. 146. Die vorliegenden Blätter befinden sich sowohl chronologisch als auch stilistisch exakt zwischen Judds noch teilweise illusionistisch lesbarem Frühwerk und den von jeglichen gegenständlichen Bezügen gelösten specific objects. Vgl. Kat. der Ausst. Donald Judd. Die frühen Werke. Early Works,1955–68. Kunsthalle Bielefeld / Menil Collection Houston, Köln 2002, S. 35.
6 Widersprüchlich ist das nicht, denn „ ‚Illusion‘ meint eine naturbedingte Beschaffenheit des Sehens (...); ‚Illusionismus‘ meint einen bewußt für einen auf bildliche Darstellungen konditionierten Betrachter konstruierten Effekt.“ Shiff, in Kat. Judd 2004, S. 41. Tiefenwirkung von Farbe ist dabei natürlich ein Grenzfall.
7 Kat. Judd 2004, S. 158.