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Antonio Calderara

Spazio Colore Luce

1972

Kassette mit 18 Siebdrucken auf Bütten nach Aquarellen der Jahre 1958–66
Maße: jeweils 40,4 x 35,2 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils verso signiert und nummeriert Mitte unten
Exemplar-Nummer: 95/108
Druck: H. P. Bayer, Hofhaus Presse, Düsseldorf
Verlag: Hofhaus Presse, Düsseldorf
Inventar-Nummer: 1002322.1–18

 

„Ich möchte zu einer Malerei nur aus Licht gelangen, ich möchte das ,Schweigen‘ malen.“1
Ein Schweigen, wie es etwa im eisig stillen Winter in seiner Heimat Vacciago am Lago d’Orta geherrscht haben mag. Antonio Calderaras Kunst, auch und vielleicht erst recht die späte, ungegenständliche Malerei, transportiert als Basis immer „das tiefe emotionale Erlebnis seiner Heimat, der Landschaft und des Lichts rund um den Orta-See im Piemont.“2 Die zarten Pastelltöne, die seine Kompositionen bestimmen, fordern schweigsame Aufmerksamkeit. Wie von innen heraus beleuchtet geben die Bilder ein sublimiertes Licht weiter an den Betrachter. Stellenweise entstehen geometrische Formen aus den Hell-Dunkel-Kontrasten der Farben, mit einer fast schon räumlichen Wirkung. „Raum Farbe Licht“ ist die Serie betitelt, und der Mappentext formuliert die Beziehung dieser drei Komponenten:
RAUM FARBE LICHT / LICHT DAS NICHT BELEUCHTET, LICHT, DAS DER RAUM, DIE FARBE, DIE STRUKTUR IST / STILLE / FARBE, DIE SICH IM LICHT VERLIERT, RAUM, DER DAS MASS DES LICHTS IST; / STRUKTUR, DIE SICH IM LICHT KONSTRUIERT / DAS MEHR, DAS WENIG, DAS NICHTS; / JENES NICHTS, DAS WENN NICHT DAS GANZE, ZUMINDEST DAS WENIGE IST / DAS IM ENDLICHEN IDENTIFIZIERTE UNENDLICHE, DAS GANZE; DER MENSCH3


Die Farbe dient also nur als Ausdrucksmittel, gewissermaßen als Metapher für die Beziehung zwischen Raum und Licht. Mit Hilfe der Farbe und ihren Nuancen, welche wiederum metaphorisch in geometrischen Grundformen und monochromen Flächen aufs Papier gebracht sind, werden Lichträume erzeugt: „Farbe wird zum Licht, indem sie die Form vergisst. Das Aufhellen oder Verdunkeln einer selben Farbe zielt immer auf die ,Sichtbarmachung’ eines Lichtraumes.“4 Es ist im Grunde das uralte Problem des „göttlichen“ Lichtes, welches in seiner Direktheit nicht darstellbar, geschweige denn dem menschlichen Auge gemäß ist. So wendet sich auch Goethes Faust am frühen Morgen geblendet vom strahlenden Sonnenlicht ab und bemerkt resigniert: „Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.“ (V, 4727) Calderara macht den Versuch, ein Äußerstes, ein über das eigentlich Darstellbare Hinausgehendes darzustellen. Anders als sein Künstlerfreund Lucio Fontana, der die Leinwand aufschlitzte, rührte er zwar auch „an die Grenzen der Malerei, hat diese aber nie überschritten.“5 Seine Lösung ist dezenter, auch konservativer, kalkulierter als Fontanas impulsive Tagli. Mit großer Sorgfalt – eines seiner Vorbilder war Piero della Francesca – wird das Bild wieder und wieder mit Lasuren überzogen. „Die Entstehung eines Bildes Calderaras ist ein langdauernder Prozess von zahlreichen, sich überlagernden Schichten. Er arbeitet zugleich an mehreren Werken. Jede Schicht muss zuerst trocknen, um die nächste empfangen zu können.“6
Mit dieser asketischen Technik schafft Calderara einen bildlichen Zustand nahe dem Nichts, hochgradig objektiviert in Farbe und Form, und doch lichtgetränkt. Eine Stimmung der Ruhe, die man vielleicht als „paradiesisch“ bezeichnen könnte, eine Art „heilige Nüchternheit“ 7 , konstruiert und poetisch zugleich.


Coralie Rippl

 

 

1 „Vorrei giungere a una pittura soltanto di luce, vorrei dipingere il ,silenzio‘ .‘‘ Antonio Calderara zit. nach: Giulia Veronesi (1960), in: Kat. der Ausst. Antonio Calderara, Galerie und Edition Annemarie Verna, Zürich 1971.
2 Vgl. Michael Semff und Andreas Strobl, Antonio Calderara. Hommage zum 100. Geburtstag. Kat. der Ausst. Staatliche Graphische Sammlung München 2003, S. 7.
3 SPAZIO COLORE LUCE / LUCE CHE NON ILLUMINA; LUCE CHE E’LO SPAZIO; IL COLORE; LA STRUTTURA / SILENZIO / COLORE CHE SI ANNULLA NELLA LUCE; SPAZIO CHE E’MISURA DI LUCE; / STRUTTURA CHE SI CONSTRUISCE IN LUCE / IL PIU’, IL MENO; IL NIENTE; / QUEL NIENTE CHE SE NON IL TUTTO SIA ALMENO IL POCO / L’INFINITO IDENTIFICATO NEL FINITO; IL LIMITE, L’UOMO
4 Jean-Christophe Ammann (1969), in: Kat. Calderara (1971), wie Anm. 1.
5 Vgl. Wolf Wezel, Erste Begegnungen mit Antonio Calderara in München, in: Semff/Strobl 2003, S. 9–11, S. 10.
6 Wie Anm. 4.
7 Michael Semff, „Das Schweigen malen“. Über die Aquarelle Calderaras, in: Semff/Strobl 2003, S. 17–20, S. 19.