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Peter Hutchinson

Stories and Natural Histories

1975

Mappe mit zehn Siebdrucken und Photographien auf aquarelle arches semi carton fin
Maße: jeweils 77 x 57,7 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert und datiert rechts unten, nummeriert links unten
Exemplar-Nummer: 65/75
Herausgeber: John Gibson, New York
Verlag: Atelier Laage, Ramatuelle (Frankreich)
Inventar-Nummer: 1001131.1–10
Abbildungen: Blatt 7 (Threaded Calabash) und Blatt 10 (Apple Triangle)

 

Die Mappe Stories and Natural Histories erzählt auf zehn Blättern je eine Geschichte von
ausgeführten oder nur geplanten Land Art-Projekten des Künstlers. Der Zeitraum erstreckt sich von 1968 bis 1974. Photos und/oder Zeichnungen sind in unterschiedlicher Weise auf den Blättern angeordnet und in Siebdrucktechnik mit Kommentaren Peter Hutchinsons versehen. Der Titel der Mappe verdeutlicht einerseits den narrativen Anspruch, andererseits das Interesse an den Prozessen der Natur. Der Begriff „natural history“ bezeichnet die wissenschaftliche Analyse des Lebens von Tieren und Pflanzen. Schon in der Antike, durch Plinius d. Ä., der um 77 n. Chr. Naturalis Historia geschrieben hat, beginnt diese Beschäftigung mit der Natur.


Hutchinson schuf bis 1968 abstrakte Gemälde, die er später als manieristisch ablehnte.1 Er wandte sich statt dessen der Natur zu, übernahm in seinen Aktionen Anregungen der Minimal Art. Er wurde zu einem wichtigen Vertreter der Story Art oder Narrative Art, die in den 1970er Jahren besonders in den USA und Frankreich verbreitet war. Ihre Text/Photo-Kombinationen stellen inhaltlich und formal eine Weiterentwicklung der Konzept-Kunst dar.2 Hutchinsons Kunst speist sich darüber hinaus aus tiefer Verbundenheit mit der Natur und Forschersinn gegenüber ihren Phänomenen.
Zu seinen bekanntesten Aktionen gehören „Threaded Calabash“ von 1969 und „Apple Triangle“ von 1970. Beide Aktionen werden in der Mappe dokumentiert. „Threaded Calabash“ bestand aus fünf Kalebassen, die in gleichmäßigen Abständen auf ein Seil aufgefädelt wurden, dessen Enden jeweils an einer Koralle befestigt wurden. Das Seil mit den Früchten befand sich unter Wasser, am Crown Point, Tobago, in der Karibik. Die Tiefe des Wassers betrug circa zehn Meter, die Länge des Objekts ungefähr dreieinhalb Meter. Auf dem Blatt ist zuoberst ein Unterwasserphoto des Seils mit den Kalebassen zu sehen, darunter eine Landkarte der Insel Tobago. Auf ihr hat der Künstler den Ort der Aktion mit einem X bezeichnet, wie auf der Schatzkarte eines Piraten. Er hatte zusammen mit Dennis Oppenheim eine Reise nach Tobago unternommen, und sie waren mit einem Boot zu dem Riff am Crown Point hinausgefahren.3 Hutchinson hatte das Kalebassen-Objekt dabei und tauchte hinunter, um es zu befestigen. Die tropischen Früchte wären eigentlich auf dem Wasser geschwommen, das Seil hielt sie aber fest, so daß sie mit ihm eine regelmäßige Parabelform bildeten.


„Apple Triangle“, ein aus gelben Holzäpfeln (crab apples) gebildetes Dreieck mit je zwei Metern Seitenlänge, war auf den Paricutin-Vulkan in der Nähe von Guadalajara, Mexiko ausgerichtet. Dieser hatte nach seiner Entstehung 1943 die Dörfer und die Landschaft der Umgebung zerstört, in der zuvor auch Holzapfelbäume wuchsen. Nach dem Ausbruch existierten nur noch Lavastaub und -gestein. Auf dem Blatt sind fünf Photos der Aktion zu sehen, die das Dreieck aus verschiedenen Perspektiven und auch den Künstler mit einem Assistenten bei der Arbeit zeigen. Hutchinson hat die Äpfel wieder in ihre ursprüngliche Umgebung zurückgebracht und erwähnt auf dem Blatt die Hoffnung, daß einige der Samen dieser Äpfel wieder zu Bäumen heranwachsen könnten und damit wieder Leben in die Lavawüste brächten. Das Dreieck symbolisiert für ihn sowohl den Baum als auch den Berg. Es setzt sich durch die gelbe Farbe der Äpfel deutlich vom dunklen Lavagrund ab. Hier, wie auch bei „Threaded Calabash“, arbeitet Hutchinson mit einer geometrischen Form, die er an einem schwierig zu erreichenden Ort mit organischen Materialien formt oder formen läßt. In den zeichenhaften Markierungen und ihrer photographischen Dokumentation wird somit die Natur in ihrer Geschichte als Geschichte erzählt: Hutchinson verweist auf die Vergänglichkeit alles Lebendigen und die Lebendigkeit alles Vergänglichen.


Vanessa Krout

 

 

1 Vgl. Carter Ratcliff, Hutchinson’s Travels, in: Peter Hutchinson, Thrown Rope, New York 2006, o. S.
 2 Vgl. Kunstforum international, Bd. 33 (= Themenheft Story Art / Narrative Art), Mainz 1979, S. 170-179.
3 Vgl. zu den Tobago-Projekten: Suzaan Boettger, Earthworks. Art and Landscape in the Sixties, Berkeley/Los Angeles 2002, S. 187–189.