Werk-Detailseite (Ajax)

Vanessa Beecroft

Vogue Hommes

2002

Zwei Pigmentdrucke (digitale C-Prints) auf Photobütten (Sintra)
Maße: jeweils 61 x 51 cm
Exemplar-Nummer: 14/45
Herausgeber: Edition Schellmann, München/New York
Inventar-Nummer: 1002530.1–2
 

Die italienische Künstlerin Vanessa Beecroft ist seit Mitte der 90er Jahre bekannt für ihre Performances mit Gruppen von Frauen, die meist nur hochhackige Schuhe tragen und mit ausdruckslosem Blick in Galerie- und Museumsräumen stehen.1 Vereinzelt inszeniert sie auch Männergruppen, wie die Mitglieder der Elitetruppe SEALs der amerikanischen Marine, die dann aber vollständig bekleidet sind. Darin folgt sie einer Tradition der Kunstgeschichte, wonach meist Frauen unbekleidet dargestellt werden, dem Blick preisgegeben. Die Performances werden durch Filme und Photographien dokumentiert.
Vanessa Beecroft präsentiert die Nacktheit ihrer Figuren so lange, bis jenseits ihrer Entblößung die jeweiligen Posen beziehungsweise die Formation der Gruppe Beachtung finden. Das zweiteilige Werk Vogue Hommes dagegen ist eine Gegenüberstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Als Inszenierung im Außenraum, bestimmt für die photographische Aufnahme und deren druckgraphische Reproduktion, ist sie in Beecrofts Werk ungewöhnlich. Die Arbeit entstand ursprünglich als ein Auftrag der Zeitschrift Vogue Hommes International. Für die Herbst/Winter Ausgabe 2002 wurden 33 Künstlerinnen, darunter Vanessa Beecroft und Nan Goldin, gebeten, ihre Eindrücke moderner Männlichkeit darzustellen.2
Bei der ersten Betrachtung ist man durch den Kontrast einer nackten, auf dem Kopf stehenden Frau und eines rechts von ihr stehenden bekleideten Mannes überrascht. Beide befinden sich auf einem gepflasterten Gehweg vor einem Gebäude mit faschistisch anmutender Steinfassade, auf der eine Inschrift nur undeutlich zu sehen ist. Es handelt sich um den Justizpalast in Mailand. Das Gebäude ist von einem Metallzaun und Waschbetonkästen mit Büschen umgeben.


Die auf dem Kopf stehende Frau ist auf dem ersten Bild von vorne zu sehen, auf dem zweiten von hinten. Sie trägt eine schwarze Perücke und schwarze Pumps mit einem Straßband um die Knöchel, die Augenbrauen über ihren blauen Augen sind stark betont, ihr Mund und ihre Fingernägel in dunklem Lila geschminkt. Der Mann ist auf beiden Bildern in Vorderansicht zu sehen und hat aschblonde Haare und braune Augen. Bekleidet ist er mit einem schwarzen Anzug, einem weißen Hemd und einer ebenfalls schwarzen Krawatte. Dazu noch schwarze Lederschuhe mit Budapester Lochmuster. Durch seine gebräunte Haut und dunkle Kleidung erscheint der Gegensatz zur blassen weiblichen Nacktheit noch frappierender. Stellt er einen Angestellten dar? Auf beiden Bildern ist alles, bis auf die veränderte Ansicht der Frau, identisch. Eine Ecke des Gebäudes und ein Knick im Zaun scheinen die beiden Personen voneinander zu trennen. In Beecrofts Inszenierung erscheint die Frau trotz ihrer Nacktheit keineswegs verletzlich, sondern eher selbstbewußt und stark. Nicht einmal die unnatürliche Haltung, auf dem Kopf stehend, läßt sie unsicher wirken. Sie behält trotz dieser Position ihre Würde, erscheint unbeeindruckt von gesellschaftlichen Konventionen. Nur die hochhackigen Schuhe und das Make Up sind klassische weibliche Attribute, welche hier aber ihre Bedeutung verlieren. Die Ausstrahlung der Frau ist insgesamt freier als die des Mannes. In der Uniform des in seiner Rolle festgelegten Ange-stellten oder Geschäftsmanns scheint er weniger Entfaltungsmöglichkeiten zu haben. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen nackter Frauen mit bekleideten Männern wird hier die weibliche Stärke in den Vordergrund gerückt.


Vanessa Krout



1 Kat. der Ausst. Vanessa Beecroft. Performances 1993–2003, hrsg. v. Marcella Beccaria. Museo d’Arte Contemporanea, Castello di Rivoli Turin, Milano 2003; Kat. der Ausst. Vanessa Beecroft. Fotografien, Filme, Zeichnungen, hrsg. v. Thomas Kellein, Kunsthalle Bielefeld, Ostfildern-Ruit 2004.
2 David Linke, Feminine Interpretations. New Issue of Vogue Hommes International, in: Daily News Record, 16. September 2002.