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Jan Håfström

ohne Titel

1978

Zwei Lithographien auf C. M. Fabriano Bütten
Maße: jeweils 56,4 x 77,5 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert und datiert rechts unten
Hors commerce
Inventar-Nummern: 1001012 und 1001013

 

Auf der einen der beiden Lithographien liegen zwischen sieben schwarzen Horizontalen etwa gleich breite graubraune Farbstreifen, die über breitere beigefarbene Streifen gezogen sind. Im Gegensatz zu diesem in dezenten, hellen Farben gehaltenen Blatt wirkt das andere ungleich schwerer: Es wird dominiert von breiten schwarzen Pinselstrichen, die das Bildfeld in drei horizontale Segmente einteilen und es dynamischer erscheinen lassen als das erste mit seinen wie leise wogenden Linien. Auf der zweiten Lithographie entsteht durch eine schräg nach links unten gerichtete Pinselführung eher der Eindruck schwarzer Wolken, die sich über einen hellen graublauen Hintergrund bewegen.


Die in beiden Werken betonte Horizontale läßt auch wegen der Farbigkeit Weiß, Beige, Braun, Schwarz und Blaugrau an Erdschichten denken. In Zusammenhang mit einem anderen Werk Håfströms sieht Carl-Johann Malmberg diese Farben als Hinweis auf „(…) Gebeine und Haut, Gebeine und Erde, die Reduktion auf verweste Elemente der Geschichte und menschlichen Lebens.“1 Er bemerkt die Allgegenwärtigkeit der Themen Leben und Tod in Håfströms Werk und betont, daß es „von Erinnerung, Zeit und historischen Prozessen handelt.“ 2 Håfström, der sich schon früh dem Thema Natur in der Kunst widmete, schuf Ende der 70er Jahre eine Reihe ähnlicher Lithographien, die in ihrer Schichtung verschiedenfarbiger Streifen ebenfalls einen Bezug zur Erde herstellen.


Gernot Böhme begründet diese Wiederkehr der Natur als Sujet in der Kunst des späten 20. Jahrhunderts mit der Bewußtwerdung der zunehmenden Umweltprobleme, die durch die Entfremdung des Menschen von der Natur entstanden waren.3 Das postmoderne Empfinden für Natur ist so vergleichbar mit der romantischen Sichtweise der Natur im 19. Jahrhundert. Håfström sieht sich selbst in der Nachfolge Caspar David Friedrichs, der „sich immer mit diesem Konflikt zwischen Kultur und Natur“4 beschäftigt hat. Weitere Übereinstimmung zwischen Håfström und den Romantikern findet sich im Verständnis der künstlerischen Tätigkeit als Wirken der Natur in und durch das Genie. Für Håfström stellen „Geschichte und Geologie zusammen eine Art phänomenologisches Konzept dar, dessen innere Spannung etwas Dialektisches hat. Sie sind die beiden Gegenpole in meinem Werk. Sie fungieren in ihrem Zusammensein als Träger von Zeit. In der Zeit vereint sich die menschliche Tätigkeit mit den natürlichen Prozessen.“5 Denn „im Naturschönen spielen, musikähnlich und kaleidoskopisch wechselnd, naturhafte und geschichtliche Elemente ineinander“, wie Theodor W. Adorno Naturschönes als „sistierte Geschichte, innehaltendes Werden“ beschreibt.6 Die natürlichen Prozesse sind hier in Form sich überlagernder Erdschichten dargestellt, die als Palimpsest dessen zu sehen sind, was sich in der Vergangenheit an der Oberfläche der Erde befunden hat.


Nadja Gebhardt

 

 

1 „(…) som hud och ben, ben och jord, reduktionen till söndervittrad elementer av historia och mäskligt liv.“ (Übersetzung N. G.) In: Carl-Johan Malmberg, Sällskap. Tankar om rum. Ruiner, särlingar, dueller och resor, Stockholm 2001, S. 140.
2 „(…) Håfströms handlar om minnen, tid och historiska processer.“ In: Martin Sundberg, Tillvaratagna Effekter-Om Jan Håfströms konstnärskap och konstnärsroll, Göteborg, Stockholm 2005, S. 302.
3 Gernot Böhme, Die Natur vor uns – Naturphilosophie in pragmatischer Hinsicht, Kusterdingen 2002, S. 250 ff.
4 Jan Håfström, in: Kat. der Aust. Geschichte und Geologie. Untersuchungen einer Landschaft. Werke 1968–1981, Hrsg. Karl Manfred Fischer, Städtische Galerie Erlangen 1981, Kapitel „Der Horizont“, o. S.
5 Ebd.
6 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main 1970, S. 111.