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Erró

ohne Titel

1977

Siebdruck auf Karton
Maße: 68,5 x 50 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: signiert, nummeriert und datiert links unten
Exemplar-Nummer: 58/100
Inventar-Nummer: 1002442

 

„Immer mehr genieße ich es, mehrere Sinnesempfindungen zur gleichen Zeit zu haben. Etwa ein Bein in kaltem Wasser, das andere in heißem Schlamm. (...) Mit jedem Ohr verschiedene Musik zu hören; in einem Nasenloch den Duft exotischer Blumen, im anderen etwas frische Brise vom Atlantik zu spüren.“1
Um dieses Motto auch in seiner Kunst zum Ausdruck zu bringen, sammelte der isländische Künstler Erró auf zahlreichen Reisen rund um den Erdball tausende Postkarten und Zeitungsbilder, die er in einer Art „Enzyklopädie eines Reisenden“2 nach 80 Themenbereichen, zum Beispiel Hände, Porträts oder Barockkirchen, ordnete. Später kombinierte er sie dann im Stil des Polit-Pop in einer Mischung aus Malerei und Comicelementen mit kunstgeschichtlichen Sujets. In der Serie Space (Homage to Robert McCall) nahm Erró verschiedene Weltraumbilder McCalls als Grundlage und verband sie mit bekannten Motiven wie der Venus oder im hier vorliegenden Werk mit dem Raub der Töchter des Leukippos (1618) von Peter Paul Rubens.


Nach dem griechischen Mythos beraubten die Zwillinge Kastor und Pollux, Halbgötter, nach einem Streit ihre Vettern auf deren Hochzeit der Bräute, woraufhin es zum Kampf kam, bei dem die Räuber getötet wurden. Das barocke „Vorbild“ nimmt vor einem fast in Neonfarben leuchtenden Hintergrund in Blau, Grün und Gelb die obere Hälfte des Bildes ein. Erró verändert das Bild von Rubens, indem er es auf wenige flächige Farben und Schattierungen in Rot, Braun, Gelb, Grau und Schwarz reduziert und so den plakativen Charakter seiner Kopie betont. Hervorstechend hell sind lediglich die beiden üppigen weißen Körper der während des Raubes zu Pferd theatralisch verdrehten Phoibe und Hilaira.


Im Vordergrund ist in Grauabstufungen die Innenansicht des Cockpits eines Spaceshuttles mit allen technischen Details zu sehen. Im rechten Mittelgrund erheben sich in kräftigem Blau, zusammen mit einem Modell des Mondes, die drei Astronauten des Apollo 1-Shuttles, Gus Grissom, Roger Chaffee und Edward White, die bei einem Feuer während eines Tests in Cape Canaveral 1967 noch vor ihrer eigentlichen Mission ums Leben kamen. Wie im griechischen Vorbild die Räuber der beiden Frauen, so mußten sich wohl auch die Astronauten wie Halbgötter gefühlt haben, als die Eroberung des Mondes und des Weltraumes zum ersten Mal in greifbare Nähe gerückt war. Lediglich die Dimensionen haben sich verändert und mit ihnen die Mittel. So dient jetzt, anstelle zweier stattlicher Pferde und menschlicher Kraft, die moderne Raumfahrttechnik dem Ziel der Eroberung des Fremden. Alles scheint möglich, jedoch finden in diesem Fall die modernen wie die antiken Helden im Scheitern ihres Vorhabens einen grausamen Tod.


Tina Kaiser

 

 

1 Baruchello / Erró / Fahlström / Liebig, Let’s mix all feelings together, München 1975, S. 60.
2 Helmut Bauer, Erró. In: Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, hrsg. v. Lothar Romain und Detlev Bluemler, München 1989, S. 3.