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Günther Förg

Canto

1990

Kassette mit sieben zweifarbigen Holzschnitten in Rot und Schwarz (fünf) bzw. Gelb und Schwarz (zwei) auf BFK-Rives Bütten
Maße: jeweils 86 x 76 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert und datiert rechts unten, nummeriert links unten, ein Blatt zuzüglich im Stock betitelt
Exemplar-Nummer: 5/10
Druck: Peter Schleiss, Basel
Verlag: Maximilian Verlag, München
Schenkung: Karl Manfred Fischer
Inventar-Nummer: 1003438.1–7

 

Das Œuvre von Günther Förg umfaßt ein breites Spektrum von malerischen Formulierungen auf unterschiedlichen Bildträgern. In seinen druckgraphischen Arbeiten experimentiert Förg mit verschiedenen Techniken und Materialien. Ohne großen Aufwand kann er dabei seriell arbeiten, in die Tiefen eines Problems vordringen und durch die Schnelligkeit des Prozesses doch an der allein aussagefähigen Oberfläche bleiben.1


Die Serie Canto hat ihren Ursprung vermutlich in dem Gemälde Canto von 1989, dem eine Reihe weiterer Bilder gleichen Titels folgen. Möglicherweise erinnert Förg hier an den amerikanischen Dichter Ezra Pound, der in seinem Hauptwerk – den Cantos (Gesängen) – Zitate aus Kultur und Geschichte Italiens benutzte, um Ideen und Empfindungen seiner Zeit episch zum Ausdruck zu bringen. 1945 wurde der in Italien lebende Dichter festgenommen und aufgrund seiner Beziehungen zu Mussolini unter menschenunwürdigen Umständen in einen speziell für Todeskandidaten gefertigten Käfig gesperrt. Der Todesstrafe entging er nur, weil er für geisteskrank erklärt wurde. Gerade in dieser Zeit entstand ein Großteil seiner Cantos.2 Förg interessierte an dieser druckgraphischen Folge besonders ihre Zusammenstellung und Gesamtwirkung im Raum.


Das Motiv des ersten Holzschnittes ist kompositorisch nahezu identisch mit dem Canto-Bild von 1989. Auf schwarzem Untergrund sind vertikale gelbe Streifen und der gelbe Schriftzug CANTO zu sehen. Mit dem Wissen von der Gefangennahme Pounds kann der Betrachter diesen Holzschnitt als Sinnbild für den Dichter im eisernen Käfig verstehen.
In den weiteren Darstellungen bleibt der schwarze Hintergrund erhalten. Der Künstler verbindet jeweils einfache geometrische Konstruktionen mit verschiedenen Elementen, die figürliche oder gegenständliche Assoziationen zulassen. Im zweiten Holzschnitt sind die Linien als obere Hälfte eines schräggestellten Würfels identifizierbar. Die sichtbaren Kanten ähneln einem Tisch. In der Mitte steht eine Form, die als gefüllte Blumenvase gedeutet werden kann. Das Motiv des vorgerückten Tisches und der Blumenvase wiederholt sich in zwei weiteren Blättern, ist dort aber einem aus wenigen Strichen gebildeten Gitter gegenübergestellt. In einem anderen Holzschnitt läßt sich mit der zentralen Form ein abstrahierter Kopf assoziieren, den diverse, Notenköpfen ähnliche Zeichen sowie unregelmäßige, verflochtene Striche umgeben. Vielleicht Hinweise auf die Gedankengänge eines Menschen, die sich der Kontrolle und dem fremden Einfluß entziehen, und einen Moment von Freiheit andeuten.
Förgs freier Umgang mit Zitaten ist als künstlerische Strategie mit der Perspektive eines Flaneurs zu vergleichen. Er ist kein Konstrukteur, der im Sinne der Moderne alles neu erfindet. Vielmehr gewinnt er seine Reflexionen aus kleinen Beobachtungen und Anleihen. In seinem Werk gibt es trotz einer scheinbar abstrakten Formensprache expressive Momente, mit denen er dem abstrakten Bild zu einer neuen Bedeutung verhilft. Förg greift formale Impulse der Moderne auf, wählt Elemente der Abstraktion wie aus einem historischen Baukasten, um ihnen bei der Suche nach einer dialogischen Referenz, beispielsweise auf die Literatur, eine neue Aufgabe zuzuspielen.3


Sven Künzel

 

 

1 Max Wechsler, Günther Förg. Die Kunst des Tiefgangs an der Oberfläche, in: Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, hrsg. v. Lothar Romain und Detlef Bluemler, München 1995, S. 3–5.
2 Frederik Hetmann, Ezra Pound, Reinbek bei Hamburg 1992.
3 Vgl. Siegfried Gohr, Wie Bilder sprechen. Zur Malerei von Günther Förg, in: Kat. der Ausst. Günther Förg. Make it new, Städtische Kunsthalle Recklinghausen, Bielefeld 2004.