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Günter Fruhtrunk

Horizons

1974

Kassette mit sieben Siebdrucken auf Karton
Maße: jeweils 80,4 x 80,3 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert und nummeriert Mitte unten
Exemplar-Nummer: 75/140
Druck: Atelier Silium, Paris
Herausgeber und Verlag: Éditions denise rené, Paris
Text: Max Imdahl
Inventar-Nummer: 1001083.1–7

 

„Schön“ sind sie vielleicht nicht, die Farben in den Bildern von Günter Fruhtrunk. Nach Geschmacksvorlieben wurden sie auch nicht gewählt. Dennoch und gerade deshalb aktivieren sie den Betrachter zu einem Blick über den gewohnten Horizont seiner Erwartungen.


Schwarze und weiße diagonale Streifen werden von feinen pinkfarbenen und grünen Linien eingefaßt. Das Zusammenspiel extremer Farb- und Quantitätskontraste aktiviert im Auge ein Sehen, das über die normale Aufmerksamkeit hinausgeht. Die Farbbahnen interagieren, die scharfen Grenzen beginnen zu flimmern und bringen die zweidimensionale Fläche zum Vibrieren. Nirgends im Bild findet das Auge bei näherer Betrachtung einen Ruhepol. Überall entsteht Bewegung, Aktivität und Energie. Schwingende Dynamik, Rhythmus, Destabilisierung des Bildraums und vor allem optische Irritation – das sind die Effekte, auf die Fruhtrunk mit seinen Bildern in einer Spielart der Konkreten Malerei abzielt.


Von elementarer Wichtigkeit sind die Figur/Grund-Beziehungen der Farbgefüge, die erst beim genaueren Hinsehen deutlich werden. Die schwarzen Streifen stehen mit den weißen in direkter Flächenkongruenz. Der Betrachter muß sich völlig auf das Bild einlassen, hineintauchen in die komplexe Struktur von Überlagerung, rhythmischer Abfolge und System. Dabei kann „das Überlagernde auch immer das Überlagerte sein. Welches System – Schwarz auf Weiß oder Weiß auf Schwarz – nun vorrangig ist, läßt sich nicht entscheiden.“1 Ob der Betrachter nun von der Mikrostruktur ausgeht, also nahe an das Bild herantritt, oder von der Makrostruktur und Abstand davon hält – in beiden Fällen wird er von der Wucht des konstanten Wechsels der Erscheinungen beinahe geblendet. Die Bilder wirken mitunter aggressiv, denn es bleibt eine Herausforderung, dem optischen Angriff standzuhalten. Fruhtrunk wählt zudem nicht zufällig Schwarz und Weiß. Sie ergänzen sich nicht nur nach dem Prinzip des Positiv-Negativ-Kontrasts, sie tragen auch zur extremen Leuchtkraft der Komplementärfarben Grün und Pink bei, erlauben erst deren volle Entfaltung auf dem Papier und letztendlich im Auge.
Max Imdahl schreibt im Mappentext: „Ist Dynamismus der Inhalt oder die Botschaft der Bilder Fruhtrunks, so bilden sie ihren Inhalt nicht ab, sondern initiieren ihn als Ereignis. Er ist ein Gegenstand der Reflexion, indem er nicht betrachtet sondern vollzogen wird.“ So geht es ihm nicht nur um die Schönheit des Gesehenen, sondern um die Lebendigkeit des Sehens.


Melanie Bollmann

 

 

1 Kat. der Ausst. Fruhtrunk, hrsg. v. der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1973, S. 8.