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Marcel Broodthaers

Museum – Museum

1972

Siebdruck auf Karton, zweiteilig
Maße: jeweils 84 x 59 cm
Signatur, Datierung, Nummerierung: jeweils signiert, nummeriert und datiert rechts unten
Exemplar-Nummer: 32/100
Verlag: Edition Tangente, Heidelberg
Inventar-Nummer: 1000172.1-2

 

 

Auf dem Diptychon von Marcel Broodthaers reihen sich unter dem Schriftzug MUSEUM, in vier mal vier Zeilen, Abbildungen goldbraun schimmernder Goldbarren mit siegelartigem Adlerrelief wie Ausstellungsstücke vor schwarzem Hintergrund. Jeder Goldbarren trägt eine weiße Unterschrift. Auf dem einen Blatt sind es die Namen berühmter Künstler wie Mantegna, Cranach, Chirico oder Magritte, auf dem anderen Blatt Bezeichnungen von Konsumwaren, zum Beispiel Butter, Benzin, Kupfer oder Tabak. Allerdings weicht jeweils die letzte Reihe von diesem Schema ab. Anstatt in Schreibschrift erscheinen hier folgende Worte in Versalien: IMITATION, FALSCH, KOPIE, ORIGINAL auf dem Blatt mit den Konsumwaren; IMITATION, KOPIE, COPIE, ORIGINAL auf dem Blatt mit den Künstlernamen.
Die Wertigkeit von Kunst beziehungsweise die Institution Museum sind zentrale Themen im Gesamtwerk von Marcel Broodthaers. „Er macht die Mechanismen des Kunstmarkts zum Leitmotiv seiner Arbeit: das Kunstwerk als Ware, jede Arbeit ein Spiegel seiner Vermarktung."¹ Ist überall Kunst drin, wo Museum draufsteht? Verweisen Namen wie Giorgione oder David noch primär auf „Kunst" oder sind sie nicht längst in die so genannte Kulturindustrie eingegangen? Ihre Werke werden als Originale ausgestellt, doch sind sie als Reproduktionen, Imitationen und Kopien oft auch im Alltag zu sehen. Sie werden verwendet als Postkarten und Poster, in Kalendern und Zeitschriften, nicht selten auch für die Werbung. Andererseits können Alltagsgegenstände zur Kunst erhoben werden, etwa durch Marcel Duchamp, der ein einfaches Pissoir umgedreht unter dem Titel „Fountain" ausstellte, oder durch Joseph Beuys, der Materialien wie Honig oder Fett als Bedeutungsträger seiner Kunst verwendete. Verwandelt sich Alltägliches in Kunst, sobald Museum darüber steht? Hängt die Wertigkeit der Kunst von einer Institution ab, die sie präsentiert?


Sind in Broodthaers' Werk nun die Goldbarren als die eigentlichen Kunstwerke, als Exponate unter der Überschrift Museum, zu verstehen oder stehen sie nur sinnbildlich für den „Wert" der Namen, die darunter verzeichnet sind? Spielt auch Broodthaers, wie sein Vorbild René Magritte, mit verschiedenen Repräsentationssystemen? Künstler und Waren werden sowohl durch Schriftzeichen als auch durch Goldbarren repräsentiert, Gold steht weiterhin für Macht und Reichtum, so auch der Stempel mit dem Adlersymbol. Der Adler verkörpert Kampf, Stolz, Einzelgängertum und taucht im Werk des Künstlers wie eine Signatur oder ein Markenzeichen immer wieder auf.


Gold kann man in Geld, Geld in Waren eintauschen. Doch wie steht es mit der Kunst? Auch sie wird vermarktet. Ähnlich wie die Marken bei Konsumartikeln, macht meist die Signatur, also der Name auf dem Original, und nicht das Werk selbst den eigentlichen Wert aus. Museumsbesucher betrachten oftmals zuerst die Beschriftungen eines Kunstwerkes und richten danach ihr Werturteil, noch bevor sie sich dem Gemälde selbst zuwenden. Macht denn der Künstlername oder der kommerzielle Wert oder die Tatsache, daß das Werk sich in einem Museum befindet, Kunst aus? All dies sind Fragen, die Broodthaers' Kunst aufwirft. Er selbst bemerkt dazu kritisch: „Was ist Kunst? Seit dem 19. Jahrhundert wurde diese Frage ununterbrochen dem Künstler, dem Museumsdirektor, wie auch dem Kunstliebhaber gestellt. Ich bezweifle tatsächlich, daß es möglich ist, eine seriöse Definition der Kunst zu geben, solange wir die Frage nicht unter einer Konstanten untersuchen, ich meine die Transformation von Kunst in Ware."² Anliegen seiner semiotischen Kunst ist es, „Kunst" nicht mehr von ihrer vermeintlichen Substanz her zu begreifen, sondern in der Relativität ihres Wertes.


Sarah Wittig

 

 

¹ Heinz Peter Schwerfel, Rückkehr in der Heldenklasse, in: Art. Das Kunstmagazin, 6, 1997, S. 34.
² Dorothea Zwirner, Marcel Broodthaers (1924-1976), Kunstraum München e.V. und Raum für Kunst e.V. Hamburg, München 1992, S. 13.